Im Jahr 1935 treffen in der OKD-Geschichte zwei Ereignisse aufeinander, die eine merkwürdige Verbindung zwischen beiden Weltkriegen schaffen. Ein seit längerem geplantes Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitarbeiter, gestaltet vom Bildhauer und Denkmalsarchitekten Fritz Behn, wird fertiggestellt und vor dem Westtor der Fabrikanlagen errichtet. Die Bronzefigur zeigt einen von der Arbeit ausruhenden Kupferschmied, der auf einen Sarg niederblickt, auf dessen Deckel ein Stahlhelm ruht. Auf zwei Bronzetafeln sind die Namen der Gefallenen verzeichnet.
Als Kontrapunkt zu diesem Ereignis wird das OKD im Sommer 1935 von der Reichsregierung zur Herstellung von Munition herangezogen: ein erster Hinweis auf das nahende Unheil, wogegen in der Öffentlichkeit zu dieser Zeit noch keine Vorahnung eines Krieges zu spüren ist. Wiederaufrüstung und allgemeine Wehrpflicht werden im In- und Ausland noch lediglich als Abschütteln der Ketten des Versailler Vertrages gedeutet.
Um die neue Produktion vollständig vom bestehenden Werk zu trennen, gründet das OKD unter dem Namen Teuto-Metallwerke GmbH ein eigenständiges Unternehmen und erwirbt für die Errichtung der Fertigungsanlagen ein 160.000 m2 großes Grundstück im Norden Osnabrücks. Edwin Schreiber und das neue OKD-Vorstandsmitglied Dr. Raydt werden zu Geschäftsführern der GmbH ernannt. Die Produktion von Versuchsmunition wird noch in den letzten Monaten des Jahres 1935 aufgenommen, ab 1936 läuft die Serienfertigung. Der monatliche Ausstoß steigt während der Kriegsjahre auf gut 10 Millionen Patronen. Nach dem Krieg wird die Gesellschaft aufgelöst.
Nach 28 Jahren im Vorstand tritt Ewald Moeller, der Wegbereiter für das Großunternehmen OKD, Ende 1939 aus Gesundheitsgründen in den Ruhestand.
Während des Zweiten Weltkriegs arbeiten die Werke unter größten Schwierigkeiten. Der zunehmende Mangel an Arbeitskräften, die häufigen Unterbrechungen durch Fliegeralarm (1944 gab es etwa 500 Vollalarme), die unzulängliche Versorgung mit Roh- und Hilfsstoffen erschweren die Fertigung zusehends. Der Betriebsausbau muß hinter der Errichtung von Schutzräumen, Bunkern und Brandteichen zurückstehen. Obwohl das OKD eine Reihe von Fliegerangriffen zu überstehen hat, die immer größere Bereiche zerstören und die Erzeugung immer weiter einschränken, sind dabei keine Toten zu beklagen.
Osnabrück war als Bahnknotenpunkt und Standort mehrerer für die Kriegswirtschaft wichtiger Großbetriebe von den ersten Kriegsjahren an ein bevorzugtes Ziel der alliierten Bomber. In insgesamt 78 Luftangriffen wurde die Stadt buchstäblich zu Schutt und Asche zerbombt. In dem schließlich zu 70% zerstörten Stadtgebiet blieben bis Kriegsende nur knapp die Hälfte von ehemals 100.000 Einwohnern zurück. Sie lebten teilweise in notdürftig hergerichteten Behausungen am Rande einer Schuttmasse, die einmal ihre Stadt gewesen war.
Die Luftangriffe auf Osnabrück, die sich im letzten Kriegsjahr ständig gesteigert hatten, finden ihren letzten Höhepunkt am 25. März 1945, als ein Regen von Luftminen, Spreng- und Brandbomben auf die Stadt niedergeht. Dieser Angriff gibt neben dem historischen Stadtkern auch dem OKD den bitteren Rest: Etwa ein Drittel der Fertigungsanlagen und die Hälfte der Gebäude wird vernichtet, eine Fortsetzung der Produktion ist nicht mehr möglich. In den Abendstunden der folgenden Tage markieren die gekreuzten Strahlen von zwei Scheinwerfern am südlichen Himmel den Verlauf einer der letzten Kriegsfronten, die bald nahezu kampflos über die Stadt hinwegzieht. Am 3. April 1945 um 9.00 Uhr morgens wird das OKD von britischen Truppen besetzt.
Nach dem Ende des Krieges konnte sich kaum jemand eine blühende Zukunft in Deutschland vorstellen; allgemein rechnete man mit einem Erholungszeitraum von zwei Generationen und mehr. Die meisten Städte und Industrieanlagen waren zerstört; den noch funktionierenden Maschinen und Industrieanlagen drohte die Demontage durch die Besatzungsmächte. Die Zukunftshoffnungen wurden zusätzlich getrübt durch Gerüchte um den sogenannten Morgenthau-Plan, nach dem Deutschland zu einem Agrarland umfunktioniert werden sollte.
Auch im OKD beginnt eine Zeit völliger Ungewißheit und banger Fragen: Kann das Werk überhaupt wieder in Betrieb genommen werden? Welche Fertigungsbereiche sind zu retten? Wie sind die Demontagepläne der Besatzungsmächte? Bestandsaufnahme und Analyse der Wiederaufbaumöglichkeiten werden dadurch erschwert, daß die Militärregierung das Betreten der Werksanlagen zunächst grundsätzlich verbietet. Ein weiteres Problem ergibt sich aus den zunehmenden Plünderungen. Da durch die Fliegerangriffe auch die Einfriedungen des Werksgeländes an vielen Stellen zerstört worden waren und der kontrollierende Werkschutz seit der Besetzung fehlt, wird alles gestohlen, was nicht zu schwer wiegt oder zu gut gesichert ist, vom einfachen Handwerkszeug bis zum Elektrokarren. Mit den fahrbereiten Karren fahren die Diebe oft so lange ihren Zielen entgegen, bis die Batterien verbraucht sind, und lassen sie dann einfach am Straßenrand stehen. Später können die Fahrzeuge dann gefunden und zurückgeholt werden – meist aus dem direkten Umland, nicht selten aber sogar aus dem Raum Bremen, gut 100 Kilometer vom Werk entfernt.
Der Verwaltungsbereich bleibt ebenfalls von Plünderungen nicht verschont. Türen und Fenster werden herausgerissen, Schränke aufgebrochen und die Akten – darunter oft wertvolle Unterlagen für die Fertigung – fußhoch auf dem Boden zerstreut. Bleistifte und Papier werden gestohlen, Schreib- und Rechenmaschinen zum Teil sinnlos zerstört.
Die Demontagen im Werk halten sich zwar in Grenzen, betreffen aber meist wichtige Instrumente und Aggregate. Schon am 6. April wird in der chemischen Untersuchungsanstalt ein Spektralapparat mit Platinnetzen beschlagnahmt. Als ein Militärfahrzeug im Juni einige Motoren aus dem Werk holen will, erleidet der Leiter der Elektroabteilung bei dem Versuch, die Beschlagnahme zu verhindern, einen tödlichen Herzschlag. Der herzkranke Mann hatte sein Leben umsonst für seinen Betrieb geopfert: die Motoren werden abtransportiert und bleiben verloren. Später, im November 1947, kommt es noch einmal zu einer Demontage eines Grobzuges für Eisendraht, der aber in einem Sammellager in Hannover wieder aufgefunden und zurückerworben werden kann.
Weitere Demontagen hat das Werk nicht zu beklagen, obwohl die deutsche Industrie in einigen Fällen noch bis zum Jahr 1950 davon betroffen ist.
Auch die zunehmenden unangemeldeten Besichtigungen bereiten der Belegschaft einige Kopfschmerzen. Welches Interesse verfolgt der Amerikaner, der sich schon wenige Tage nach der Besetzung durchs Werk führen läßt? Weshalb die schier endlose Folge weiterer Besucher unterschiedlicher Nationalitäten? Welchen Sinn haben die Berichte an die Militärregierung, die nach jedem Besuch unter Beantwortung aller während der Führung offen gebliebenen Fragen anzufertigen sind? Aufgrund der ausbleibenden größeren Demontagetätigkeiten kann darüber nur spekuliert werden. Wahrscheinlich ist, daß sich aus einigen dieser Besuche später sogar Möglichkeiten einer Zusammenarbeit ergeben haben.
In den ersten Monaten nach der Besetzung kann auch die kaufmännische Verwaltung keiner regelmäßigen Tätigkeit nachgehen. Um die dringlichsten Arbeiten zu erledigen, richtet sich ein kleiner Stab in der Werksküche ein. Die hier zur Verfügung stehende Schreibmaschine wird – ebenso wie alle Bleistifte und Papiervorräte – abends mit nach Hause genommen, damit sie nicht am nächsten Morgen verschwunden ist. Die Verwaltung trifft täglich am Treppenaufgang zur Abteilung Einkauf zusammen, wo auch eine der ersten und traurigsten Maßnahmen nach der Besetzung durchgeführt wird: die Entlassung der Werksangehörigen. Alle Betroffenen erhalten ein auf 6 Monate befristetes Wartegeld, danach muß jeder für sich selbst sorgen. Erfreulicherweise finden die meisten eine Arbeit bei der Besatzungsmacht oder einer Osnabrücker Firma; nur wenige bleiben arbeitslos.
Trotz aller Unsicherheiten beginnt man bald mit der Planung für die Zukunft des Unternehmens. Drähte, Leitungen, Nägel, Bleche und Rohre sind Mangelware und werden für den Wiederaufbau des Landes dringend benötigt. Diesem Umstand ist es wohl auch zu verdanken, daß die Militärregierung Sondergenehmigungen zum Betreten des Werkes erteilt, damit der Aufwand für die Instandsetzungsarbeiten eingeschätzt werden kann. Am 27. Mai wird die Instandsetzung genehmigt, und 200 Arbeitskräfte beginnen mit den Aufräumungsarbeiten. Am 5. Juni 1945 erfolgt schließlich die Freigabe für die Fertigung.
Der erste Auftrag in Friedenszeiten betrifft die dringende Lieferung von Wellenbezügen für die „MS Europa“. Auftraggeber ist der Norddeutsche Lloyd. Schon im August 1945 können der Militärregierung umfangreiche Produktionsmöglichkeiten mitgeteilt werden. Als Hauptabnehmer werden Reichsbahn, Reichspost, Kohlezechen, Elektrizitätswerke und Lokomotivwerke genannt. Bedenkt man die massiven Zerstörungen des Werkes und die Bedingungen für den Wiederaufbau, ist das Tempo der Inbetriebnahme kaum zu glauben. Bis zum Jahresende läuft die Fertigung in kleinen Schritten in allen wesentlichen Betrieben an. Dabei sind massive Probleme zu bewältigen. Die Beschaffung der notwendigen Werkzeuge und Materialien erfolgt bis zur Währungsreform per Tauschgeschäft; die OKD-Devisen sind Nägel, Draht und Geflechte. Die Produktion ist abhängig von der Bereitstellung von Kohle und Koks – Brennstoffen, die in den Nachkriegsjahren vornehmlich an die europäischen Nachbarländer abgegeben werden müssen und dementsprechend schwer zu beschaffen sind. Der Transport auf dem Werksgelände ist äußerst kompliziert, da zwei Eisenbahnbrücken zunächst nicht zu benutzen sind. Der gesamte Transport erfolgt mit Lastwagen – von denen allerdings nur zwei zur Verfügung stehen. Das Kupferdrahtwalzwerk kann zwar in Betrieb genommen werden, aber sieben für die Fertigung dringend erforderliche Spezialisten, die bei der Militärregierung angestellt sind, werden nicht freigegeben.
Ab Juli 1945 beginnt die Wiedereinstellung von Mitarbeitern; die Belegschaft verdreifacht sich bis zum Jahresende von 306 auf 1.035. Die Wiederaufnahme regelmäßiger Arbeitszeiten bedeutet allerdings keinesfalls das Eintreten auch nur annähernd normaler Verhältnisse. Nicht nur die zunehmend mangelhafte Versorgung mit Rohstoffen und Energie macht dem Werk zu schaffen; vor allem die Nöte der Mitarbeiter lähmen jede Produktivität. Bei den Wohnungsproblemen kann das Werk oft Unterstützung gewähren und hilft über Jahre hinweg, Wohnraum bereitzustellen. Aber die katastrophale Ernährungslage zehrt immer mehr an Leistungsvermögen und Gesundheit.
Die von der Militärregierung eingeleitete Entnazifizierung macht sich auch im OKD bemerkbar. Zeitweise muß auf die Mitwirkung eingearbeiteter Mitarbeiter und Führungskräfte aller Rangstufen verzichtet werden. Viele können nach Abschluß der Untersuchungen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, andere verlieren ihren Arbeitsplatz. Die Verfahren ziehen sich bis in die fünfziger Jahre.
Noch im Geschäftsjahr 1946/47 besteht große Unsicherheit auf allen Gebieten der wirtschaftlichen Planung. Das Vertrauen in die Währung schwindet zusehends, eine Besserung der Ernährungslage ist nicht absehbar, jede Aufwärtsentwicklung ist im Keim erstickt. Die Ausfuhr von Metallhalbzeug und anderen Erzeugnissen, für die das Werk weithin bekannt war, kann immer noch nicht aufgenommen werden. Maschinen und Einrichtungen sind im wesentlichen voll betriebsfähig. Obwohl alle fertigungstechnischen Ansprüche erfüllt werden können, ist die Ausnutzung völlig unzureichend. In den Wintermonaten muß das Werk mangels Brennstoffen und Strom zeitweilig sogar stillgelegt werden.
Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erhält erst durch die Währungsreform von 1948 die langersehnten Antriebskräfte. Innerhalb kurzer Zeit machen sich die positiven Auswirkungen in allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens bemerkbar. Das OKD nimmt am 1. September die Fabrikation der neuen Münzen mit der Herstellung von 1-Pfennig-Stücken auf, einen Monat später wird die Pulvermetallurgie eingerichtet. In Erinnerung der guten Erfahrungen mit dem Stranggußverfahren bei Leichtmetall, beginnt man damit, dieses Verfahren auch bei Schwermetall einzusetzen.
Mit immer noch relativ kleinen, aber entschiedenen und festen Schritten geht es von jetzt an bergauf in eine Zukunft, die mehr verspricht als man vor kurzem noch erwarten konnte.